Nirgendwo wurde die sogenannte "Endlösung der Judenfrage" von den Nationalsozialisten so grausam auf die Spitze getrieben wie im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Mehr als 1,1 Millionen Menschen wurden hier getötet - durch Vergasung, Folter und Arbeit.
Rudolf Höß ist 39 Jahre alt, als er 1940 Lagerkommandant von Auschwitz wird. Der erklärte Tier- und Naturfreund sollte nach dem Willen seiner Eltern eigentlich Priester werden. Doch Höß macht Militär-Karriere. Die Deutschen hatten damals Polen besetzt, in Oświęcim im Süden des Landes soll Höß ein Konzentrationslager aufbauen. Der SS-Hauptsturmführer geht mit Ehrgeiz an die Arbeit. Unter seinem Kommando entsteht bald ein grauenvoller Ort. Bis 1945 sterben mindestens 1,1 Millionen Menschen in Auschwitz, die meisten von ihnen Juden, die gleich nach ihrer Ankunft vergast werden. Andere werden erschlagen, erschossen, zu Tode gefoltert. Sie müssen arbeiten, bis sie tot umfallen oder sie verhungern. Auschwitz wird zur "Todesfabrik" der Nationalsozialisten.
Vom Arbeitslager zur "Endlösung"
Der Befehl, ein ehemaliges Kasernengelände in Oświęcim zum KZ umzubauen, kommt am 27. April 1940 von Heinrich Himmler. Der SS-Chef ist in Adolf Hitlers Reich zuständig für die rasch wachsende Zahl der KZ. Ursprünglich ist Auschwitz als Arbeitslager für politische Gefangene aus Polen gedacht. Doch im Verlauf des Zweiten Weltkriegs wird es bald zum Sammel- und Tötungslager für Kriegsgefangene aus Russland. Es wird zu einem Industriestandort mit angegliederter Sklavenhaltung. Und bald wird Auschwitz für die Nazis auch der wichtigste Ort ihrer "Endlösung der Judenfrage".
Die Opfer von Auschwitz
Ihre Zahl lässt sich nur schätzen. Viele Deportierte wurden in Auschwitz nicht registriert, sondern gleich vergast und verbrannt. Nach dem Krieg vermutete man zunächst 2,5 bis 4 Millionen Tote, da die Nazis die Zahlen offenbar selbst übertrieben hatten. Heute gehen Forscher davon aus, dass mindestens 1,3 Millionen Menschen nach Auschwitz deportiert wurden. 1,1 Millionen von ihnen starben. Etwa eine Million der Getöteten waren Juden. Außerdem kamen mindestens 70.000 Polen, 21.000 Roma, 14.000 sowjetische Kriegsgefangene sowie 10.000 Tschechen, Belarussen und andere Opfer ums Leben.
Kriminelle aus Deutschland bewachen polnische Führung
Zu Beginn seiner Errichtung ist das Lager für 10.000 Häftlinge geplant. Erbauen und erweitern müssen es die Inhaftierten selbst. Zunächst verschleppen die Nazis Polen nach Auschwitz: Menschen, die angeblich für den Untergrund arbeiten, Priester, Akademiker. Die Haft- und Arbeitsbedingungen sind von Anfang an unmenschlich. Von den 20.000 Polen, die in der ersten Phase im Lager eingesperrt werden, sind nach nicht einmal zwei Jahren mehr als die Hälfte tot. Doch einige wenige Häftlinge aus dieser Zeit werden sogar wieder in die Freiheit entlassen.
Die allerersten Gefangenen, die Mitte 1940 in Auschwitz ankommen, sind allerdings Kriminelle aus dem KZ Sachsenhausen in Deutschland. Sie dienen als sogenannte Kapos. Das sind KZ-Aufseher, die die SS immer wieder aus den Reihen der Gefangenen aussucht. Sie sollen "Ordnung" schaffen und erhalten dafür Vergünstigungen. Viele Kapos drangsalieren mit äußerster Brutalität ihre Mithäftlinge.
Das "System" KZ
Rudolf Höß hatte als SS-Offizier bereits in Dachau und Sachsenhausen KZ-Erfahrungen gesammelt. Auschwitz "funktioniert" anfangs genauso: Die Gefangenen sind ständigem Terror ausgesetzt. Sie wissen oft nicht, warum sie inhaftiert sind, wie lange sie bleiben müssen, ob sie je wieder herausdürfen. Sie sind zusammengepfercht, müssen härteste Arbeit verrichten, bekommen zu wenig Nahrung. Und sie sind der Willkür ihrer Wärter ausgesetzt. Es gibt in Auschwitz ein eigenes Gebäude für Strafaktionen, Verhöre und Exekutionen: Block 11. Gefangene hängen dort derart gefesselt am Dachbalken, dass ihnen die Schulterknochen brechen. Ihre Peiniger prügeln sie blutig, um ihnen "Geständnisse" abzupressen. Auch Todesurteile durch Verhungern werden vollstreckt.
Deportation in die Gaskammer: Bilder aus Auschwitz
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Im besetzten Polen errichten die Deutschen von 1940 an das größte ihrer Konzentrations- und Vernichtungslager. Bis 1945 werden im "KL Auschwitz" mindestens 1,1 Millionen Menschen sterben, etwa eine Million von ihnen sind Juden.
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Der Reichsführer SS, Heinrich Himmler (l. vorne), ist von Adolf Hitler mit der Organisation der wachsenden Zahl von Lagern betraut. 1941 besucht Himmler erstmals Auschwitz. Gemeinsam mit Lagerkommandant Rudolf Höß (r. vorn) und einem Vertreter des Konzerns IG Farben besichtigt er die Baustelle eines Chemiewerkes, das der Konzern in der Nachbarschaft bauen lässt.
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Mitte 1941 hatten die Nationalsozialisten die "Endlösung der Judenfrage" beschlossen - die Ausnutzung jüdischer Menschen als Arbeitssklaven und ihre Ermordung. In der Folge begann die massenhafte Deportation von Juden aus den deutschen Einflussgebieten. Die ersten Züge kamen aus Polen und der Slowakei. 1942 starteten, wie hier, auch in Frankreich die Transporte mit dem Ziel Auschwitz.
Ihre Habseligkeiten werden den Deportierten gleich nach der Ankunft abgenommen. Einen Teil davon behält die SS-Mannschaft für sich. Heute sind Töpfe, Schuhe und Koffer der Opfer in Ausstellungen der Gedenkstätte Auschwitz zu sehen.
Die "Todesrampe": Im seit Ende 1941 errichteten Lager Auschwitz-Birkenau werden die Ankommenden nach Geschlechtern getrennt und "selektiert". SS-Ärzte entscheiden, wer zunächst Arbeitssklave wird und wer direkt ermordet werden soll.
Die, die zunächst weiterleben dürfen, sind lebende Tote. Sie erhalten trotz härtester Arbeit kaum Nahrung, sind in überfüllten Unterkünften untergebracht. Sie verhungern, erliegen Krankheiten, sterben bei der Arbeit. Viele werden von sadistischen Wärtern getötet oder bei Strafaktionen, etwa zur Vergeltung von Ausbruchsversuchen anderer Häftlinge.
Frauen, die im KZ als für die Arbeit verwertbar angesehen werden, müssen sich die Haare scheren lassen. Auch den gleich nach ihrer Ankunft vergasten Menschen werden nach dem Tod die Haare abgeschnitten. Tausende Kilogramm Menschenhaar aus Auschwitz werden für Textilien verwendet.
Als die "Todesfabrik" von 1942 an auf "Hochtouren" läuft, sind etwa 80 Prozent der Neuankömmlinge in Auschwitz für die sofortige Ermordung bestimmt. Den Menschen wird gesagt, dass sie in dem Gebäude desinfiziert werden sollen ...
... doch die Alten und Kinder auf diesen Fotos sind auf dem Weg in die Gaskammer. In wenigen Minuten werden sie in einen Raum gesperrt sein, in den die Nazis das für Menschen tödliche Insektenvernichtungsmittel Zyklon B einleiten.
Wenn die Opfer tot sind, müssen andere Häftlinge die Leichen aus den Gaskammern holen. Bevor sie die Toten in die Verbrennungsöfen schieben, brechen sie ihnen Goldzähne heraus und scheren die Haare der Frauen.
Die KZ-Verwaltung lässt einige Häftlinge Postkarten schreiben, die zum Beispiel an ihre Angehörigen in jüdischen Ghettos gehen. Der Text wird den Gefangenen diktiert. Teilweise müssen sie die Karten vordatieren. Als sie beim Empfänger ankommen, sind die Absender bereits ermordet.
Etwa 6.500 SS-Leute arbeiten von 1940 bis 1945 in Auschwitz. Viele von ihnen leben dort mit ihren Familien. Auf Ausflügen in die Umgebung entspannen sie sich. Ihre Kinder besuchen in Auschwitz Schule oder Kindergarten, während in geringer Entfernung Gleichaltrige in die Gaskammern geführt werden.
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Von 1944 an sind die industriell genutzten Außenlager von Auschwitz mehrfach Ziel alliierter Bombenangriffe. In dem Jahr werden aber noch Hunderttausende Juden, vor allem aus Ungarn, nach Auschwitz in den Tod geschickt. Der jüdische Weltkongress bittet Briten und Amerikaner, die Gaskammern in Auschwitz zu bombardieren, um das Morden zu beenden. Es geschieht nicht. Über die Hintergründe wird bis heute diskutiert.
27. Januar 1945: Die Sowjetarmee befreit die Gefangenen. "Wir rannten zu ihnen, und sie umarmten uns und gaben uns Kekse und Schokolade", erinnert sich eine der Überlebenden. Für die russischen Soldaten und für die Weltöffentlichkeit ist der Moment keine Sensation. Auschwitz erscheint zunächst bloß als ein weiteres vom Nazi-Terror befreites Lager. Das Ausmaß der Vernichtungsmaschinerie an diesem Ort wird erst später klar.
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Während in Auschwitz die Überlebenden von russischen Militärärzten und Sanitätern versorgt werden, sind SS-Trupps mit 60.000 früheren Gefangenen mitten im Winter auf dem Weg ins Reichsgebiet. Diejenigen, die diese Todesmärsche überleben, sagen später, es sei noch schlimmer gewesen als die Zeit im Lager.
Doch auch dort sterben die Menschen weiter. Manche sind trotz ärztlicher Hilfe nicht mehr zu retten. Und in allen möglichen Winkeln des Lagerkomplexes werden Leichen gefunden. Kurz nach der Befreiung gibt es in Auschwitz einen langen Trauerzug. Die Überlebenden tragen Särge zu einem Massengrab.
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Vor einem deutschen Gericht wird Auschwitz erst 1963 im großen Rahmen juristisch aufgearbeitet. 22 Angeklagte stehen in Frankfurt am Main vor Gericht. 17 werden verurteilt, sechs von ihnen zu lebenslanger Haft. Trotz der relativ milden Urteile bewerten Historiker das Verfahren heute als "Wendepunkt der Erinnerung": weil die Deutschen gezwungen wurden, sich mit ihrer bis dahin weitgehend verdrängten Geschichte auseinanderzusetzen.
Das Lager Auschwitz ist seit 1947 Gedenkstätte. Heute kommen jährlich mehr als 1,2 Millionen Besucher. Entsetzen macht sich breit, als im Dezember 2009 der Schriftzug "Arbeit macht frei" vom Eingangstor gestohlen wird. Die Diebe werden später gefasst und zu Haftstrafen verurteilt. Der genaue Hintergrund der Tat bleibt unklar, einer der Täter ist ein schwedischer früherer Rechtsextremist. Über dem Auschwitz-Tor hängt heute ein Duplikat des Schriftzuges. Das Original ist im Museum.
Mit dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion im Juni 1941 ändert sich die Struktur von Auschwitz erheblich. Die Nazis verschleppen Kriegsgefangene in das Lager, die als Polit-Kommissare gelten. Sie werden so brutal misshandelt und schlecht versorgt, dass viele von ihnen bald sterben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten SS-Leute und Kapos bereits etliche Häftlinge ermordet und exekutiert. Doch nun beginnt eine planmäßige und massenhafte Tötung. Im September 1941 verwenden die Nazis dabei erstmals das Giftgas Zyklon B, ein Mittel zur Ungeziefervernichtung.
Die industrielle Verwertung der Häftlinge
Schon Monate vor dem Angriff auf die Sowjetunion war klar geworden, dass Auschwitz sich größer entwickeln würde als ursprünglich geplant. Ende 1940 beschließt das Unternehmen IG Farben, der größte Chemiekonzern der Welt, den Bau eines neuen Werkes für synthetisches Benzin und Gummi. Die Standortwahl fällt auf Auschwitz. Dort gibt es gute Bahn-Anbindungen, Rohstoffe und massenhaft günstige Arbeitskräfte: Die NS-Führung verspricht dem Unternehmen Zwangsarbeiter. Der Bau des Nebenlagers Monowitz beginnt 1941. Insgesamt entstehen im Lauf der Zeit 47 Auschwitz-Nebenlager und Außenkommandos, um Bergwerke, Industrieanlagen und landwirtschaftliche Betriebe mit Arbeitssklaven zu versorgen.
Wie in anderen deutschen KZ finden auch in Auschwitz gezielt medizinische Versuche mit Insassen statt. Besonders berüchtigt wird der Arzt Josef Mengele. Er tötet bei seinen Experimenten zahlreiche Menschen. Mengele lässt zum Beispiel eineiige Zwillinge mit Typhusbakterien infizieren. Für seine Versuche amputiert er Gefangenen Glieder, schneidet Organe aus ihren Körpern oder tötet sie.
Birkenau: Von der Rampe in den Tod
Im Herbst 1941 entsteht das Außenlager Birkenau. Es wird das größte des Gesamtkomplexes - und bald auch das größte aller Vernichtungslager der Nazis. Dorthin bringen sie die Juden, die sie aus Europa "austilgen" wollen. Im Frühjahr 1942 entsteht die erste Gaskammer, das "rote Häuschen", an einer abgelegenen Stelle des Lagers. Die anderen Häftlinge sollen die Todesschreie nicht hören. Später sind mehrere Kammern und Krematorien gleichzeitig in Betrieb, täglich rollen mehrere Züge voller Menschen ein. Viele Neuankömmlinge in Birkenau werden direkt von der "Judenrampe", wie die Nazis den Bahnsteig nennen, in die Gaskammer geführt. Es sind vor allem Frauen und Kinder und alte oder schwache Männer, die sich aus Sicht der SS nicht als Arbeitssklaven eignen.
Etwa eine Million Juden sterben bis 1945 in den Lagern von Auschwitz. Ihren Höhepunkt erreicht die Mordmaschinerie 1944, als die bevorstehende deutsche Kriegsniederlage der Nazi-Führung längst bewusst ist. Innerhalb von zwei Monaten werden mehr als 400.000 Juden aus Ungarn nach Auschwitz verschleppt.
Grausame Rache für Ausbruchsversuche
Im Lager gibt es immer wieder Ausbruchsversuche. Doch nur wenige gelingen - die besten Chancen haben Häftlinge, die in Außenkommandos arbeiten. Die Nazis nehmen dafür grausame Rache. Sie lassen Familienmitglieder und Freunde der Ausbrecher hinrichten oder töten wahllos andere Insassen. Viele Häftlinge werfen sich aus Verzweiflung gegen die mit Starkstrom tödlich geladenen Stacheldrahtzäune des Lagers.
Soweit bekannt, gibt es nur einen einzigen bewaffneten Aufstand: Im Oktober 1944 gehen einige Dutzend Gefangene auf ihre SS-Bewacher los. Mit selbst gebauten Granaten versuchen sie, die Krematoriumsgebäude zu zerstören. Doch nach einigen Stunden schlagen SS-Einheiten die monatelang vorbereitete Aktion nieder. 451 Häftlinge werden sofort hingerichtet.
Am 27. Januar 1945 befreien russische Soldaten Auschwitz. Die
verbliebenen Häftlinge sind so geschwächt, dass viele trotzdem noch
sterben.
Die Befreiung
Das Grauen endet erst am 27. Januar 1945 mit dem Einmarsch der Roten Armee. Vorher hatten die Deutschen in einer einzigen Nacht noch 10.000 Gefangene ermordet und Gaskammern und andere Beweise ihrer Taten zerstört.
Zehntausende transportfähige Überlebende schicken sie auf Todesmärsche in den Westen. Etwa 7.000 Häftlinge befinden sich bei der Befreiung noch in Auschwitz. Viele überleben die Rettung nicht lange. Sie sind so geschwächt, dass ihnen niemand mehr helfen kann.
Höß endet am Galgen - in Auschwitz
NS-Anführer wie Hitler, Himmler und Göbbels nehmen sich gegen Kriegsende oder wie Göring in der Gefangenschaft das Leben. Adolf Eichmann, einer der Hauptorganisatoren des Holocaust, wird erst später gefasst und schließlich 1962 in Israel hingerichtet. Auch Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß kann nach dem Krieg untertauchen. Doch am 11. März 1946 spüren ihn britische Militärpolizisten in der Nähe von Flensburg auf. Höß kommt in Polen vor Gericht, er wird zum Tode verurteilt. Die Hinrichtung findet am 16. April 1947 statt, an einem Galgen in Auschwitz.