Marc Oler (Quelle: rbb)
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Enkel David Olères - Marc Oler

Der Holocaust war das wichtigste Thema in seinen Arbeiten, nachdem er aus Auschwitz zurückgekehrt ist, erzählt der Enkel Marc Oler. Er lebt in Frankreich und Israel und setzt sich für das Andenken an seinen Großvater ein. Anhand von Gemälden erzählt er vom Leben David Oleres.

Als ich klein war, war ich oft bei meinen Großeltern. Mein Großvater war sehr angespannt, sehr traumatisiert. Und er war sehr talentiert.

Er schaffte es trotzdem, mir seine Liebe zu zeigen. Er machte Spielzeug für mich, aus Holz und Eisen. Und er brachte mir Englisch und Russisch bei.

Er malte in der Küche. Einmal musste ich einen ganzen Tag lang für ihn Modell sitzen. Er nahm mich einfach so, wie ich war. Es war faszinierend, ihm beim Malen zuzusehen. Man konnte fühlen, wie konzentriert er war und in seiner Arbeit versank.

Er hatte nur ein Auge. Eins hatte er im Lager verloren. Also hat er alles mit einem Auge gemacht. Er zeichnete Pläne, die eine Perspektive hatten, wie ein Architekt. Mit den Dimensionen. Und ich durfte ihn dabei beobachten. Aber unter der Bedingung, dass ich nicht sprach. Was für ein Kind schwierig ist, nicht zu reden.

Manchmal, wenn ich eine gute Frage stellte, antwortete er. Aber sehr, sehr selten.

Er hatte vor dem Krieg eine Karriere. Er arbeitete als Setdesigner für große Filmgesellschaften. In Berlin für die Europäische Allianz und später in Paris arbeitete er für Paramount Columbia Pictures und andere.

Sieben Jahre lebte er in Berlin. Er lernte am Bauhaus, weil es der beste Ort zum Studieren war damals.

Ich weiß, dass er seine Frau sehr liebte. Seine Frau war der einzige Mensch, der ihm nach seiner Rückkehr nah sein konnte. Es war sehr hart, es war schwer mit ihm zu kommunizieren, er hat niemanden berührt, er küsste niemanden. Sie war sehr wichtig für seinen Willen, zu überleben.

Meine Großmutter war die beeindruckendste Frau, die mir jemals begegnet ist. Sie war so liebevoll, sie half anderen und sie kümmerte sich um meinen Großvater nachdem er aus dem Lager zurückgekommen war.

Er musste wie ein Baby gefüttert werden, weil er keine Zähne hatte und sein Magen sehr klein geworden war. Eine Zeit lang bekam er alle zwei, drei Stunden flüssige Nahrung, wie ein Baby. Sie hatte Geduld und sie hörte ihm zu. Aber sie glaubte ihm am Anfang nicht. Sie dachte, er hätte den Verstand verloren. Sie war sich sicher, dass er einige schreckliche Dinge gesehen hatte, aber sie glaubte nicht, dass seine Berichte wahr sein konnten. Es dauerte einige Zeit, bis andere Zeugnis ablegten und Beweise und Bilder veröffentlicht wurden. Erst dann wurde ihr klar, dass er nicht den Verstand verloren hatte, sondern dass er die Wahrheit sagte, nichts als die Wahrheit.

Er war im Sonderkommando. Es war seine Aufgabe, die Toten aus den Gaskammern zu holen, ihre Haare zu schneiden, ihre Goldzähne herauszubrechen und sie ins Krematorium zu bringen, um sie zu verbrennen. Das war die Aufgabe des Sonderkommandos.

Man sieht, was das ist. Da hinten ist ein Lift von der Gaskammer hoch in den ersten Stock des Krematoriums, wo die Verbrennungsöfen waren. Ich denke manche Zeichnungen brauchen keinen Kommentar. Sie sprechen für sich. Wie Fotos. Fotos, die nie gemacht wurden.

In den Türen der Gaskammern gab es kleine Fenster. Das ist der Blick in die Gaskammer. Da braucht man keinen Kommentar.

Ich denke, das ist eine sehr wichtige Zeichnung. Ich habe sie ausgesucht, weil sie einen Akt Mitgefühls zeigt. Am schwierigsten, unmöglichsten Ort - wo es den Menschen vor allem ums Überleben ging. Die Gefangenen des Sonderkommandos konnten ein bisschen Essen sammeln. Sie fanden es unter den Dingen, die die Menschen zurück lassen mussten, die vergast wurden. Manche von ihnen hatten ein wenig Essen mitbringen können. Die SS tolerierte es, dass die Gefangenen des Sonderkommandos es aßen.

Und hier haben sie kleine Pakete gemacht, die sie ins Frauenlager rüber werfen. Auf der Zeichnung steht, David Olère hat das geschrieben: Essen für die Frauen, damit ich sie nicht im Krematorium wieder sehe. Sie waren zu diesem Zeitpunkt schon so erschöpft, dass ein kleines Stück Brot oder eine Kartoffel, ein bisschen Essen, vor dem Tod bewahren konnte. Das hier ist ein Akt des Mitgefühls im Herzen der Hölle. Außergewöhnlich, finde ich.

Auf diesem Bild sehen wir David Olère mit zwei Deutschen SS-Männern, die das Krematorium betrieben haben. Es heißt “Nach Mitternacht”. Es war nach Mitternacht. Einen jungen Aufseher sieht man besonders gut. Er wollte etwas über den Verlauf der Front wissen. Er wusste, dass seine deutschen Vorgesetzten sie anlogen. Das Ganze war in einem sehr kleinen Raum innerhalb des Krematoriums.

Sie hörten die Nachrichten. Er nannte diese Zeichnung auch „mein persönlicher Krieg“. Denn es war ein psychologischer Krieg. Er übertrieb den Vormarsch der Alliierten im Westen. Und er übertrieb die Zerstörung der deutschen Städte. Ich finde das beeindruckend. Er wusste, dass Paris befreit war. Und dennoch sah er, wie weiter die Züge ankamen. Und dann musste er weiter die Gaskammern leeren.

Die englische Sprache zu hören, war für ihn eng mit der Befreiung verknüpft. Jeden Abend hörte er die BBC zum Einschlafen. Wenn er einen Albtraum hatte und aufwachte, wusste er, dass er frei war. Weil die BBC lief.

Das sind zwei russische Piloten. Das ist vielleicht die Geschichte, die ihm einen Funken Hoffnung gab, dass er lebend aus dem Lager kommen könnte. Das war Ende 1944. Diese beiden russischen Piloten waren abgeschossen worden. Und dann nahm man sie fest und brachte sie noch am selben Tag nach Auschwitz.

Und er als Gefangener des Sonderkommandos musste die Krematorien leeren. Diese beiden warteten also darauf, getötet zu werden. Es mussten nur erst noch die Öfen gereinigt werden. Mein Großvater konnte sich wohl irgendwo verstecken, er kannte den Ort sehr gut. Er schaffte es ein paar Minuten mit den beiden zu sprechen, denn er konnte ja auch fließend Russisch. Sie sagten ihm, dass die Rote Armee ganz nah sei.

Dies sind also zwei Piloten, die für ihr Land gefallen sind. Wortwörtlich. Und gleichzeitig ist das vielleicht der Moment, in dem er dachte, dass er raus kommen könnte. Lebendig.

Der Holocaust war nach dem Krieg das einzige Thema in seinen Arbeiten. Außer am Filmset. Er nahm die Arbeit beim Film wieder auf. Aber in seinen persönlichen Arbeiten ging es nur um den Holocaust. Nur ab und zu machte er ein paar Portraits.

Wir sehen, dass die Extremen, die Ideologien in ganz Europa stärker werden. Ich denke, diese Ausstellung sollte eine Warnung sein: Positioniert Euch. Besonders in Deutschland. Aber auch im übrigen Europa. Nationalismus und Populismus führen immer zu Krieg. Dessen müssen wir uns bewusst sein. Steuern wir also auf einen Krieg zu? Oder setzen wir uns für ein Ende der Kriege ein? Es gab Versuche, “saubere” Kriege zu führen. Aber das gibt es nicht. Wir müssen den Krieg abschaffen. Das ist unsere Aufgabe: den Krieg abschaffen.

Interview: Julia Riedhammer, Christine Thalmann