Mike Delberg betreut die Öffentlichkeitsarbeit der Jüdischen Gemeinde zu Berlin (Quelle: rbb)
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Jüdische Gemeinde - Mike Delberg

Autorin: Mike Delberg ist knapp 30, in Berlin geboren, er ist gewählter Vertreter der Jüdischen Gemeinde, er engagiert sich politisch und er trägt grundsätzlich Kippa. Aus Überzeugung. Er ist Deutscher und Jude, und das passt, so sagt er, zusammen

Mike Delberg: „Ich glaube eine Sache, die relativ schön ist, dass wir eigentlich den größten Konsens innerhalb der jungen jüdischen Gemeinschaft in Deutschland haben, dass wir unsere Koffer ausgepackt haben. Viele von uns sind hier geboren worden, wir haben hier unsere Heimat, wir sind hier aufgewachsen. Alles was wir sind und was wir gemacht haben, haben wir auch Deutschland mit zu verdanken. Und auch das ändert sich gerade ein bisschen. Die Situation ist nicht einfach. Und selbst, obwohl ich ein grundlegend positiver Mensch bin, sie haben es vorhin angesprochen, ich trage seit fast einem halben Jahr die Kippa überall wo ich bin, ob es bei der Arbeit ist oder auf der Straße und mir ist tatsächlich bis jetzt nur positives passiert, außer vielleicht ein paar blöde Blicke, aber sonst war es in Ordnung.

Trotz dessen merke ich wie das Leben in Deutschland als jüdischer Mensch schwieriger wird. Es ist wichtig, dass man überhaupt mal eine jüdische Person gesehen hat. Es ist auch einer der Gründe, warum ich die Kippa trage, ich bin kein orthodoxer Mensch, aber ich bin gläubig, ich bin ein gläubiger Jude und ich möchte zeigen, dass Juden ein Teil dieser Gesellschaft sind und genauso dazu gehören. Wenn ich sie jetzt abnehmen würde, würde mich keiner auf der Straße einer Religion zuordnen können oder irgendeiner Herkunft. Ich wäre genauso wie jeder andere.“

 

Autorin: Einmal hat ein kräftiger Mann ihn abends auf der Straße angesprochen. „Bist Du Jude oder was?“ Delberg hat geantwortet, worauf der Fremde sagte, das sei lustig. Er sei Palästinenser. Und dann haben sich beide nett unterhalten. Mike Delberg ist Deutscher und Jude. Und das sei gut so. Er mag keine langweiligen Erinnerungsveranstaltungen. Er ist jung, er kann auch Schräges gut finden. Zum Beispiel das Video der australischen Künstlerin Jane Korman, die mit ihrem Vater, einem Shoaüberlebenden und der gesamten Familie nach Auschwitz gefahren ist, um dort ausgelassen zu Gloria Gaynors Hit zu tanzen. „I will survive. Ich werde überleben

Der Vater tanzt sogar vor dem Ofen des Krematoriums. Das Video polarisiert, über eine halbe Million mal wurde es angeklickt

 

Musik: "I will survive"

Mike Delberg: „Ja, ich kenne das Video, es ist unglaublich berührend. Ich weiß nur ehrlich gesagt nicht, ob es nur für mich unglaublich berührend ist und für jemanden, der diese Geschichte halt nicht versteht, ob man es dann tatsächlich greifen kann. Aber unabhängig davon: Ja, das Video ist einmalig und eine große Inspiration.

Der Holocaust ist Teil der Familiengeschichte und der Vergangenheit von jedem Juden auf dieser Welt. Jeder von uns hat ein Teil seiner Familie verloren, jeder von uns hat Freunde verloren, in jedem von uns ist noch eine tiefe Narbe von dieser Zeit, obwohl man vielleicht auch viel später danach geboren wurde. Man ist mit den Geschichten der Eltern, Großeltern, Urgroßeltern aufgewachsen, die den Krieg entweder tatsächlich in Deutschland oder im Konzentrationslager oder in der ehemaligen Sowjetunion, wie meine Großeltern erlebt haben. Und wir alle waren davon auf die ein oder andere Art und Weise betroffen.“

Autorin: Mike Delberg lehnt das ritualisierte Auschwitz-Gedächtnistheater ab. Das eingespielte Gedenken mit immer den gleichen Sätzen, den gleichen Gedanken. 

Mike Delberg: „Ich verstehe, dass diese Gedenkveranstaltungen wichtig sind, sie sind es tatsächlich. Es müssen auch öffentliche Zeichen gesetzt werden, dass diese Zeit nicht vergessen werden darf. Wir müssen uns aber überlegen, ob diese Art der Veranstaltung, diese Form noch zeitgemäß sind. Selbst ich, als junger Mensch, gehe zu diesen Veranstaltungen, weil es ein Muss ist und ich es für richtig halte – aber nicht, weil es mich in irgendeiner Form emotional bewegt in einem Saal voller älterer Menschen zu sitzen, die zwanzig Jahre älter sind als ich und im Endeffekt auch dann nur Zeichen der Solidarität setzen möchten. Vielleicht müssen wir darüber nachdenken, wie schaffen wir das diesen Teil der Vergangenheit wieder emotional greifbar zu machen, vor allen Dingen an die jungen Menschen oder die Generation, die es anscheinend so vergessen haben, dass sie Parteien wie die AfD unterstützen.“

 

Autorin: Maria Ossowski