- Die Konservatorenwerkstatt
Sprecher: „Der leere Zug mit seinen weit geöffneten Waggontüren ist längst schon zurück gefahren, aufmerksam überwacht von SS-Männern sortieren Häftlinge den gesamten Besitz all jener Menschen, die vor einer Stunde angekommen sind: Koffer, Brieftaschen, Bündel, Kinderwagen, hunderte, tausende kleinere und größere Gegenstände.“
Autorin: So beschreibt der Gefangene mit der Auschwitz-Nummer 121466 Wojciech Kawetzki, das was von einem Transport nach Auschwitz übriggeblieben war. Die Züge endeten oft keine zweihundert Meter von den Gaskammern entfernt. An der Rampe entschied sich das Schicksal der Opfer: Zwangsarbeit im Lager oder direkt ins Gas. Tausende von Schuhen, Koffern, Prothesen und anderen Habseligkeiten sind in den meisten Fällen die letzten Spuren jener Menschen, von denen nichts übriggeblieben ist, außer dem, was der Dichter Paul Celan das Grab in den Lüften nannte. Es kümmern sich heute circa 20 Konservatoren und Restauratoren, unter ihnen Chemiker und Mikrobiologen in modernsten Werkstätten um diese letzten Habseligkeiten. Alles wäre längst zerfallen ohne Konservierung. Christin Rosse aus Cottbus hat in Köln die Kunst des Konservierens und Restaurierens studiert. Die junge Mitarbeiterin ist seit vier Jahren dabei.
Christin Rosse: „Dieses Jahr konservieren wir 30 Prothesen und Korsagen. In der Sammlungsabteilung haben wir davon 470 Stück, weil die Objekte, die wir bearbeiten, die es in der Sammlungsabteilung gibt, die es im Archiv gibt, das sind Mengen. Sie wissen, wie viele Objekte wir haben. 110.000 Paar Schuhe und Fragmente von Schuhen, ca. 4000 Koffer, 250 Regalmeter Archivmaterialien, 4.100 Kunstobjekte und Emaillewaren 12.000 Stück.“
Autorin: Die Werkstätten sind untergebracht im ehemaligen Aufnahmelager von Auschwitz auf 600 qm. Dort, wo jene ankamen, die registriert wurden und meist durch Tod durch Zwangsarbeit verurteilt waren. Die Stiftung Auschwitz-Birkenau-Foundation mit 120 Millionen Stiftungskapital diese Werkstätten und ihre Mitarbeiter. Die Hälfe des Geldes kommt aus Deutschland. Aber warum sind diese Gegenstände so wichtig? Zwei deutsche, junge Frauen arbeiten in den Konservatoren-Werkstätten. Die Cottbusserin Christin Rosse und Margrit Bormann aus dem Erzgebirge. Seit 9 Jahren konserviert sie die letzten Habseligkeiten der Opfer.
Margrit Bormann: „Sie sind Zeitzeugen der Geschehnisse hier, die in anderer Art und Weise erzählen können, als ein Überlebender z.B. Hier muss man die Spuren ablesen können und sie sind als historische Dokumente, die als Beweise der Verbrechen fungieren, die die Deutschen hier durchgeführt haben. Das ist der materielle Wert dieser Gegenstände. Aber sie haben auch einen immateriellen Wert, denn sie sind emotional sehr beladen. Der Anblick dieser Objekte bewirkt, dass ich und sie, die Besucher, viele Menschen Gefühle entwickeln. Vielleicht, was das Opfer gefühlt hat, als die Menschen hier ankamen in Birkenau, die auf der Rampe die Koffer abstellen mussten, die Familien getrennt wurden. All dieses emotionale Paket transportieren diese Dinge, diese Objekte, der Koffer z.B.“
Autorin: Jeden Tag für ein vergleichsweise doch geringeres polnisches Gehalt Kinderschühchen oder Kämme, Zahnbürsten oder Prothesen, Kleidung oder Brillen zu konservieren, geht das einer jungen, sportlichen und engagierten, gut ausgebildeten Konservatorin nicht irgendwann mal ans Gemüt? Margrit Bormann:
Margrit Bormann: „Das ist mein Lebensinhalt. Es gibt mir die Gewissheit, dass mein Dasein einen Sinn hat. Ich bin glücklich und zufrieden, dass ich hier sein kann, dass ich hier arbeiten darf – als Deutsche muss man dazu sagen. Das ist für mich immer noch schwierig zu begreifen. Ich kann Ihnen erzählen, warum gibt es Antisemitismus, warum Rassismus, wie ist das alles entstanden, wie kam es zur Machtübernahme Hitlers, wie kam es zum Zweiten Weltkrieg. Aber das sind alles Fakten, die mir nicht ausreichen, um zu verstehen, warum das letztendlich tatsächlich geschehen ist, warum Menschen in der Lage sind, sich gegenseitig solches Leid zuzufügen.“
Autorin: Maria Ossowski