Yehuda Bacon - Holocaust-Überlebender
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Zeitzeuge - Yehuda Bacon

Als Überlebender der Shoah sah sich Yehuda Bacon in der Verantwortung, seine Geschichte zu erzählen. Er beschloss Künstler zu werden, auch um seine Erlebnisse zu verarbeiten. Diese wurde in Prozessen gegen NS-Verbrecher, wie den Frankfurter Auschwitzprozessen als Beweismittel verwendet.

Ich wollte mir alles merken, was ich sah, von Anfang an, auch wenn ich nicht glaubte, dass ich aus dem Konzentrationslager rauskomme.

Jeder war ganz allein für sich. Freundschaft war fast nicht möglich, nur wenn man jemanden zufällig sehr gut kannte oder wenn jemand ein Verwandter war. Und jetzt ist da eine Gruppe von Kindern, ehemalige Kinder. Wir waren wunderbar organisiert, waren schon zusammen in  Theresienstadt. Einer half dem anderen, gab das letzte Stück Brot (…) Das existiert hier nicht. Zwischen den anderen. Also wir hatten eine bessere Chance, zu überleben.

Zum Beispiel auf dem Todesmarsch – da sah ich, wie man alle diese älteren Menschen erschießt. Wer nicht weiter konnte, wurde erschossen. Weiter. Weiter, weiter. (…) All diese Menschen haben keine Hilfe bekommen, unsere Gruppe von Kindern aber hat keines von uns stehen lassen. Niemand wurde erschossen. Selbst wenn einer schon so schwach war, dann kamen zwei Jungs von rechts und links und schleppten ihn weiter. Das heißt, wir retteten ihm das Leben. Das war selbstverständlich.

Was ich gesehen habe, sind die wahnsinnigen Transporte aus Ungarn. 400 000 Menschen in einer kurzen Zeit, und die bringen verschiedene Sachen mit. Was war unsere Arbeit? Das Essen manchmal herauszunehmen. Sie mussten ja alles stehen lassen und wurden weitergetrieben. Plötzlich brauchte man Holz, (…) 400 000 Menschen kann man nicht so leicht verschwinden lassen. Es war zu viel. Die Öfen konnten nicht alle verbrennen, so schnell und gut also noch einmal große Gruben mit Holz und dann das Benzin und dann reinschmeißen, wen sie nur konnten auch kleine Kinder und so … , aber das ist überall schon aufgeschrieben. (…)

Ich sah und ich war ein neugieriges Kind - eine Menge Mauern voll mit Holz. So vorbereitet. Ich wusste, das ist das Holz für die riesige Massen Und ich fragte den Kapo - für wie viele Leute ist es?  Und er sagte mir eine fantastische Nummer. Noch ungefähr 15 Millionen oder was ja, alle Juden leben fast alle sind schon nicht mehr da. Da sagt er, jetzt im Programm sind jetzt die Slaven. Jetzt kommen die Slaven zur Vernichtung auf andere Weise, und dazu brauchen wir so viel Holz hier.

Wir waren schon sehr gescheit und geübt. Frauen fragten uns. Wir waren schon alte Häftlinge. Was ist mein Kind? Wie alt war Ihr Kind? Wenn es war ein Kind, sieben, acht Jahre, dann war es sicher tot. Denn es ist sicher umgebracht. Alle Mütter mit Kindern bis neun oder zehn Jahren wurden sofort vernichtet.

Es war kein Glauben, nichts, dass man weiterkommt. Als ich das sah mit den Augen, die Augen, die Erschossenen das offene Gehirn, das ist nicht so angenehm da, sagte ich etwas sehr Paradoxales für mich. Gott sei Dank, dass mein Vater ins Krematorium ging. Warum? Ich wusste genau, wie und was wird passieren. Da leidet man aber fünf bis zehn Minuten, ist es schwer. Aber das ist es und die da sind viel schlimmer als Hunde. Solche Sachen im Kopf - das ist sehr schwer, einem normalen Menschen zu erklären.

Die erste Zeit nach der Befreiung. Wie lebt man? Wie gibt man da einen Sinn?

Ich bin aus dem KZ gekommen und ein kleiner Junge, und ich kann jetzt einen Stein auf sie schmeißen. Aber dann kam noch ein Gedanke Was passiert dann? Was passiert dann? Die Asche von Wisla von Auschwitz - mein Vater wird nicht plötzlich da sein. Er steht nicht aus der Asche auf.  Das ist Unsinn. Was kann man machen? Und was passiert, wenn ich den Stein werfe. Vielleicht ist derjenige überhaupt nicht schuldig. Und auch wenn ja, dann gebe ich den Hass weiter. Ist da irgendwie etwas dadurch gelöst? Nichts.

Das habe ich schon irgendwie instinktiv bemerkt.

Ich sah nicht alle sind böse. Und Schurken so weiter. Sondern es gibt auch Menschen, es gibt noch normale Menschen, das war etwas Neues.

Ich erinnere mich auch noch an eine Episode nach dem Krieg. Ich staunte, wie ich sah, dass kurz nach der Befreiung ein normal normales Begräbnis stattfand. Ich gehe da hin und plötzlich sehe ich einen echten Wagen, auf dem der Sarg transportiert wird, mit zwei oder vier oder sechs Pferde, und es wird Musik gespielt. Und da dachte ich, die Menschen sind verrückt - ein Mensch ist tot und so einen Aufwand betreibt man da? Es war unfassbar für mich. Noch eine Woche vorher war ich in Mauthausen und habe andere Sachen gesehen.

Das waren die ersten Funken von etwas anderem. Ist es nicht so, wie man denkt. Es hat ganz alles andere Wurzeln und man kann viel Besseres machen, wenn man darüber nachdenkt.

Die Frage ist: Mensch, wo bist du? Was machst du? Das heißt, die, die hören wollen, hören diese geheimnisvolle Stimme. Was machst du mit Dir?

Was machst du mit deinem Talent? Du hast, jeder hat ein kleines Talent für etwas. Da sind zwei Antworten auf diesen Ruf. Und da kann ich sagen Da bin ich. Ja, ich nehme es auf mich, ich weiß nicht, was die Rolle sein wird. Aber ich nehme es auf meine Schultern, und die andere Antwort ist. (…) Bin ich der Hüter meines Bruders? Was gehts mich an. Das hat nichts mit mir zu tun. Und das hat jeder in sich.

Es gibt immer irgendwelche Entschuldigungen. Aber die Frage ist: Habe ich das getan, was ich tun konnte? Habe ich es wenigstens versucht?

Jeder muss versuchen, dass zu tun, was er tun kann und das muss er wirklich mit offenen Herzen machen.

Autoren: Christine Thalmann, Julia Riedhammer